Fotos: Stefan Schmidlin
Fuck You & Utopia
Anouk Sebalds Transformationen
Text von Kate Whitebread
Da bewegen sie sich, die Körper, die Blumen, rhythmische Formationen in einer schimmernden pinken Tiefe. Nahe vor mir, scheinbar an der Oberfläche des Bildschirms, bilden sich Blasen und Streifen, wo Licht auf Wasser trifft. Es ist, als würde auch ich in der Untiefe schwimmen, den Blick hinauf zur Sonne gerichtet. Ich weiss, dass es in dieser Videoarbeit von Anouk Sebald um Veränderung geht, um die physischen und psychischen Transformationen im Leben einer Frau*, um eine Körperlichkeit also, der auch meine eigene gleicht. Ich muss an die Sprünge von Walen denken, wenn sie aus dem Wasser auftauchen, denn ich habe gelesen, dass ausser den Menschen unter den Säugetieren nur vier Walarten die Wechseljahre erleben, darunter Buckelwale und Orcas.
¡Transformation!, so der Titel der Ausstellung, schliesst auch die Wechseljahre mit ein, die neben dem Beginn der Menstruation zu den Wandlungsprozessen gehören, die weiblich geborene Körper im Laufe ihres Lebens durchmachen und die eng mit menschlichen Reproduktionsprozessen sowie den Zäsuren von Geburt und Tod verbunden sind. Die Rauminstallation besteht aus drei Videoarbeiten, die ein Triptychon bilden. Das grossflächige, titelgebende Video wird rechts und links auf zwei Screens durch die Arbeiten Vaporwave und Waterbomb ergänzt. In Waterbomb geht es explizit um die menschliche Reproduktion und das schwimmende Embryo, während Vapourwavein Bezug auf die Kleidung als unsere äusserste, über der Haut liegenden Hülle die Frage nach Identitäten und Rollenzuschreibungen thematisiert. Eine Fensterfolie taucht den Raum in farbiges Licht: Als Betrachter*in ist man eingeladen, ganz in Anouk Sebalds Kosmos der bewegten und bewegenden Bilder einzutauchen und gleichzeitig die eigenen körperlichen Transformationen zu reflektieren, unabhängig davon, wo man sich auf dem Genderspektrum verortet.
In ihrem Essay The Space Crone (1976) stellt sich Ursula le Guin einen Raumfahrenden aus einer anderen Galaxie vor, der darum bitte, die Menschheit möge eine Begleitung für die lange Reise zurück zum Heimatplaneten zur Verfügung stellen, um ihm dabei unsere Spezies näherzubringen. Nicht die schöne, energetische Jugend oder der stereotype reife Mann mit «Führungsqualitäten» sollten dafür in Fragekommen, meint le Guin – nein, eine Frau jenseits der fruchtbaren Jahre müsse es sein, denn nur die ältere Frau hat «das Menschsein – dessen Essenz der Wandel ist – in seiner Gesamtheit erfahren, akzeptiert und ausgelebt». (1)
Le Guins Essay steht in einer feministischen Tradition, die ab den 1970er Jahren den weiblichen Körper als Ort des subversiven politischen und gesellschaftlichen Potentials betrachtete, als Gegenbewegung zur vorherrschenden Stigmatisierung von Menstruation und Menopauseim Patriarchat. Während das Einsetzen der Menstruation – und insbesondere die darauffolgende Initiation in die Sexualität – in Literatur und Film häufig thematisiert wird, blieben die Wechseljahre kulturell lange unsichtbar. Unsichtbarkeit ist auch eine der zentralen Erfahrungen, von der Frauen im Postklimakterium berichten, denn auch heute ist es noch immer das Bild der jungen, als cisgender gelesenen Frau, das in den Medien und insbesondere auch im Kulturbetrieb als Projektionsfläche für Aufmerksamkeit und Attraktivität eingesetzt wird.
Le Guin, sowie später u.a. Germaine Greer, erachten The Change – so der veraltete englische Euphemismus für die Wechseljahre – als einen sinnstiftenden Prozess: Eine Frau hat die Möglichkeit, ihr Leben zu verändern. Dazu wird, beinah rituell, auch etwas aufgegeben. Verlustewerden in der feministischen Literatur und Kunst oft explizit thematisiert oder als subversiv zelebriert: Der Verlust von Schönheit, von Fruchtbarkeit, von sexueller und intellektueller Anziehungskraft, und die damit einhergehenden körperlichen und emotionalenExtremzustände wie Hitzewallungen, vaginale Trockenheit oder Wutausbrüche. Neben Verlust wird jedoch auch über Lust gesprochen: Nicht nur in Bezug auf das Weiterbestehen und gar die Vertiefung der Sexualität, sondern primär als Freude an einer Transformation hin zu einem Zustand der befreiten Selbstbestimmung, in dem die eigene Identität jenseits des Einflusses von (patriarchal strukturiertem) Begehren oderdem gesellschaftlichen Druck zur Fortpflanzung neu entdeckt werden kann. Als Lebensabschnitt der im Patriarchat keine «Funktion» einnimmt, ist das Postklimakterium zudem ein potentieller Nährboden für alternatives Denken von Identitäten und Gesellschaftsformen. Obwohl die einschlägige Fokussierung auf den biologischen Frauenkörper und die Genderbinarität in den älteren Texten irritieren mögen, prägt diese Dualität von Lust und Verlust bis heute den Diskurs um die Rolle der Menopause im persönlichen sowie sozialen Kontext. (2)
Stehen dafür die umgekehrten Ausrufezeichen rund um die ¡Transformation! In Anouk Sebalds Werk? Für die Zwiespältigkeit in unserem Umgang mit körperlichem Wandel? In der bildenden Kunst und Literatur stehen, wenn es um nicht-sexualisierte körperliche Themen wie die Menstruation und Menopause, aber z.B. auch Geburt oder Abtreibung geht, oft Bilder von Blut oder Schmerz im Zentrum – «body horror» nennt man das in der Filmtheorie. (3) Mit diesen Ansätzen hat Sebalds Arbeit sichtbar wenig gemeinsam. Im Video ¡Transformation! sehen wir auch nackte Körper, jedoch höchstens eine Andeutung von Schamhaaren. Manche der Figuren tragen weiblich betonte Kleider, andere verschwinden fast unter einem Tuch, das sie von Kopf bis Knie bedeckt. Sie bewegen die Arme und Beine als würden sie im Schwimmen tanzen, denn das Element, das sie umgibt, ist am
Anfang eindeutig Wasser. Doch gibt es hier keinen Raum, der physikalischen Gesetzen folgt: Die Figuren verdoppeln und vervielfachen sich,rotieren und verbinden sich zu Konstellationen, die mit floralen Motiven verschmelzen. Das symbolische Zusammenspiel der Farben, der Blumen, der Kleider und der graziösen Bewegungen suggeriert eine artifizielle Hyperfemininität, welche die Künstlerin bewusst einsetzt um gesellschaftliche Konnotationen von Weiblichkeit und die damit assoziierten Erwartungshaltungen und Rollenbilder zu befragen.
In ihrer künstlerischen Arbeit befasst sich Sebald seit längerem intensiv mit Identitätskonstruktionen, ausgehend von aber nicht begrenzt auf ihre eigenen Erfahrungen als Frau, als Mutter, als Künstlerin. Dazu nutzt sie primär Textilien sowie Videos, in denen sie sich selber vor einemGreen Screen filmt und danach isolierte Bildebenen zu einer komplexen Gesamtkomposition überlagert. Sie nimmt dabei verschiedene Rollen und Identitäten an, die sich im Medium des Videos vervielfältigen und destabilisieren. Transformation erscheint in den ästhetisch verführerischen Bildern und Klängen ihrer Arbeiten zunächst ein schöner, wünschenswerter Prozess zu sein.
Dennoch war ihr erster Impuls für den Titel der Arbeit Fuck you, Transformation! – denn gerade auch als Künstlerin in den Wechseljahrensieht sie sich mit den Herausforderungen gesellschaftlicher Grenzen und Klischees konfrontiert, die oft alles andere als einfach zu verhandeln sind.
Eine ähnlich zwiespältige Haltung lässt sich auch in Bezug auf ihre feminin konnotierte Farben- und Symbolsprache erkennen, die zwar einerseits einer Kritik an reduktiven Frauenbildern dient, deren Sinnlichkeit aber gleichzeitig zelebriert wird. Diese lyrische Ambiguität erinnert weniger an den feministischen Diskurs als an die sinnliche, spielerische Meditation über das Altern und die Sexualität der französischenSchriftstellerin Colette in La Naissance du Jour (1928). Die autofiktionale Hauptfigur verbringt den Sommer umgeben von jungen Künstler*innen in ihrem Haus in St.Tropez, beschreibt ihre schlaflosen Nächte, ihre fast kindliche Nähe zur Natur – von den verblassenden Sternen bis zur winzigen Kaktusblüte – ihre gleichzeitige Verstrickung mit und Versuche der gelassenen Befreiung von gesellschaftlichen Vorstellungen rund um die alternde Frau. (4)
Ist diese ¡Transformation! nun also ein Aufschrei gegen die sozialen Erwartungen rund ums Frau sein, oder eine eher verträumte Utopie, in der die Transformation sich in einer Explosion von Farben und Mustern als zukunftsweisende Erneuerung entpuppt? Was bedeutet es, wenn man ein Ausrufezeichen umkehrt? Nimmt es der Wut, der Kritik, die Kraft? Oder zeigt es auf, dass alles immer komplizierter ist, als man denkt?
Es ist kein Zufall, dass die Künstlerin diese Rauminstallation für die Mansarde der Peripherie8 entwickelt hat, denn es gibt kaum einen Raum, der historisch mit einem solchen Überschuss von träumerischen und revolutionären Utopien aufgeladen ist, wie die Mansarde – und dies ganz besonders in Bezug auf die Selbstbestimmung der Frau. Mansarden sind ein architektonisches Phänomen des 19. Jahrhunderts, das kulturell mit gesellschaftlicher Marginalisierung aber auch mit einer Infragestellung der bestehenden Gesellschaftsordnung assoziiert wird. Oft wurden Mansarden von armen, berufstätigen Frauen gemietet, sie waren einerseits eine ökonomische Notwendigkeit, andererseits aber auch ein Ort, der ein gewisses Mass an Freiheit und Eigenständigkeit ermöglichte. In der Literatur gibt es den Topos der Mansarde alsMetapher für das Unbewusste und das Widerständige: Man stelle sie sich vor, die wilde Frau unter dem Dach, mit dem Feuer im Herzen und an den Fingerspitzen, bereit die Welt zu entflammen. (5)
In der Ausstellung von Anouk Sebald tritt das Wasser an die Stelle des Feuers – doch die Herausforderung an die Welt bleibt bestehen. Bei den Walen, übrigens, haben die älteren Weibchen, die nach der Beendigung der Reproduktionsphase noch viele Jahrzehnte weiterleben, einen hohen Status als Leittiere ihrer Gruppe.
Manchmal möchte ich auch ein Buckelwal sein. Text: Kate Whitebread
* Der Stern verweist darauf, dass der Begriff „Frau“ cisgender sowie transgender Frauen sowie gewisse nonbinäre Identitäten einschliesst. Auch die Körper von transgender Männern können in ihrer Lebenszeit «biologisch weibliche» Prozesse durchmachen. Dieser Text bezieht sich stark auf die Erfahrungen von cisgenderFrauen, zu denen die Künstlerin sowie die Autorin gehören – jedoch im Bewusstsein, dass dies der Diversität der verschiedenen Erfahrungen von Weiblichkeit nicht gerecht werden kann, und dass die genannten biologischen Prozesse für diese Erfahrungen nicht zwingend ausschlaggebend sind.
Da bewegen sie sich, die Körper, die Blumen, rhythmische Formationen in einer schimmernden pinken Tiefe. Nahe vor mir, scheinbar an der Oberfläche des Bildschirms, bilden sich Blasen und Streifen, wo Licht auf Wasser trifft. Es ist, als würde auch ich in der Untiefe schwimmen, den Blick hinauf zur Sonne gerichtet. Ich weiss, dass es in dieser Videoarbeit von Anouk Sebald um Veränderung geht, um die physischen und psychischen Transformationen im Leben einer Frau*, um eine Körperlichkeit also, der auch meine eigene gleicht. Ich muss an die Sprünge von Walen denken, wenn sie aus dem Wasser auftauchen, denn ich habe gelesen, dass ausser den Menschen unter den Säugetieren nur vier Walarten die Wechseljahre erleben, darunter Buckelwale und Orcas.
¡Transformation!, so der Titel der Ausstellung, schliesst auch die Wechseljahre mit ein, die neben dem Beginn der Menstruation zu den Wandlungsprozessen gehören, die weiblich geborene Körper im Laufe ihres Lebens durchmachen und die eng mit menschlichen Reproduktionsprozessen sowie den Zäsuren von Geburt und Tod verbunden sind. Die Rauminstallation besteht aus drei Videoarbeiten, die ein Triptychon bilden. Das grossflächige, titelgebende Video wird rechts und links auf zwei Screens durch die Arbeiten Vaporwave und Waterbomb ergänzt. In Waterbomb geht es explizit um die menschliche Reproduktion und das schwimmende Embryo, während Vapourwavein Bezug auf die Kleidung als unsere äusserste, über der Haut liegenden Hülle die Frage nach Identitäten und Rollenzuschreibungen thematisiert. Eine Fensterfolie taucht den Raum in farbiges Licht: Als Betrachter*in ist man eingeladen, ganz in Anouk Sebalds Kosmos der bewegten und bewegenden Bilder einzutauchen und gleichzeitig die eigenen körperlichen Transformationen zu reflektieren, unabhängig davon, wo man sich auf dem Genderspektrum verortet.
In ihrem Essay The Space Crone (1976) stellt sich Ursula le Guin einen Raumfahrenden aus einer anderen Galaxie vor, der darum bitte, die Menschheit möge eine Begleitung für die lange Reise zurück zum Heimatplaneten zur Verfügung stellen, um ihm dabei unsere Spezies näherzubringen. Nicht die schöne, energetische Jugend oder der stereotype reife Mann mit «Führungsqualitäten» sollten dafür in Fragekommen, meint le Guin – nein, eine Frau jenseits der fruchtbaren Jahre müsse es sein, denn nur die ältere Frau hat «das Menschsein – dessen Essenz der Wandel ist – in seiner Gesamtheit erfahren, akzeptiert und ausgelebt». (1)
Le Guins Essay steht in einer feministischen Tradition, die ab den 1970er Jahren den weiblichen Körper als Ort des subversiven politischen und gesellschaftlichen Potentials betrachtete, als Gegenbewegung zur vorherrschenden Stigmatisierung von Menstruation und Menopauseim Patriarchat. Während das Einsetzen der Menstruation – und insbesondere die darauffolgende Initiation in die Sexualität – in Literatur und Film häufig thematisiert wird, blieben die Wechseljahre kulturell lange unsichtbar. Unsichtbarkeit ist auch eine der zentralen Erfahrungen, von der Frauen im Postklimakterium berichten, denn auch heute ist es noch immer das Bild der jungen, als cisgender gelesenen Frau, das in den Medien und insbesondere auch im Kulturbetrieb als Projektionsfläche für Aufmerksamkeit und Attraktivität eingesetzt wird.
Le Guin, sowie später u.a. Germaine Greer, erachten The Change – so der veraltete englische Euphemismus für die Wechseljahre – als einen sinnstiftenden Prozess: Eine Frau hat die Möglichkeit, ihr Leben zu verändern. Dazu wird, beinah rituell, auch etwas aufgegeben. Verlustewerden in der feministischen Literatur und Kunst oft explizit thematisiert oder als subversiv zelebriert: Der Verlust von Schönheit, von Fruchtbarkeit, von sexueller und intellektueller Anziehungskraft, und die damit einhergehenden körperlichen und emotionalenExtremzustände wie Hitzewallungen, vaginale Trockenheit oder Wutausbrüche. Neben Verlust wird jedoch auch über Lust gesprochen: Nicht nur in Bezug auf das Weiterbestehen und gar die Vertiefung der Sexualität, sondern primär als Freude an einer Transformation hin zu einem Zustand der befreiten Selbstbestimmung, in dem die eigene Identität jenseits des Einflusses von (patriarchal strukturiertem) Begehren oderdem gesellschaftlichen Druck zur Fortpflanzung neu entdeckt werden kann. Als Lebensabschnitt der im Patriarchat keine «Funktion» einnimmt, ist das Postklimakterium zudem ein potentieller Nährboden für alternatives Denken von Identitäten und Gesellschaftsformen. Obwohl die einschlägige Fokussierung auf den biologischen Frauenkörper und die Genderbinarität in den älteren Texten irritieren mögen, prägt diese Dualität von Lust und Verlust bis heute den Diskurs um die Rolle der Menopause im persönlichen sowie sozialen Kontext. (2)
Stehen dafür die umgekehrten Ausrufezeichen rund um die ¡Transformation! In Anouk Sebalds Werk? Für die Zwiespältigkeit in unserem Umgang mit körperlichem Wandel? In der bildenden Kunst und Literatur stehen, wenn es um nicht-sexualisierte körperliche Themen wie die Menstruation und Menopause, aber z.B. auch Geburt oder Abtreibung geht, oft Bilder von Blut oder Schmerz im Zentrum – «body horror» nennt man das in der Filmtheorie. (3) Mit diesen Ansätzen hat Sebalds Arbeit sichtbar wenig gemeinsam. Im Video ¡Transformation! sehen wir auch nackte Körper, jedoch höchstens eine Andeutung von Schamhaaren. Manche der Figuren tragen weiblich betonte Kleider, andere verschwinden fast unter einem Tuch, das sie von Kopf bis Knie bedeckt. Sie bewegen die Arme und Beine als würden sie im Schwimmen tanzen, denn das Element, das sie umgibt, ist am
Anfang eindeutig Wasser. Doch gibt es hier keinen Raum, der physikalischen Gesetzen folgt: Die Figuren verdoppeln und vervielfachen sich,rotieren und verbinden sich zu Konstellationen, die mit floralen Motiven verschmelzen. Das symbolische Zusammenspiel der Farben, der Blumen, der Kleider und der graziösen Bewegungen suggeriert eine artifizielle Hyperfemininität, welche die Künstlerin bewusst einsetzt um gesellschaftliche Konnotationen von Weiblichkeit und die damit assoziierten Erwartungshaltungen und Rollenbilder zu befragen.
In ihrer künstlerischen Arbeit befasst sich Sebald seit längerem intensiv mit Identitätskonstruktionen, ausgehend von aber nicht begrenzt auf ihre eigenen Erfahrungen als Frau, als Mutter, als Künstlerin. Dazu nutzt sie primär Textilien sowie Videos, in denen sie sich selber vor einemGreen Screen filmt und danach isolierte Bildebenen zu einer komplexen Gesamtkomposition überlagert. Sie nimmt dabei verschiedene Rollen und Identitäten an, die sich im Medium des Videos vervielfältigen und destabilisieren. Transformation erscheint in den ästhetisch verführerischen Bildern und Klängen ihrer Arbeiten zunächst ein schöner, wünschenswerter Prozess zu sein.
Dennoch war ihr erster Impuls für den Titel der Arbeit Fuck you, Transformation! – denn gerade auch als Künstlerin in den Wechseljahrensieht sie sich mit den Herausforderungen gesellschaftlicher Grenzen und Klischees konfrontiert, die oft alles andere als einfach zu verhandeln sind.
Eine ähnlich zwiespältige Haltung lässt sich auch in Bezug auf ihre feminin konnotierte Farben- und Symbolsprache erkennen, die zwar einerseits einer Kritik an reduktiven Frauenbildern dient, deren Sinnlichkeit aber gleichzeitig zelebriert wird. Diese lyrische Ambiguität erinnert weniger an den feministischen Diskurs als an die sinnliche, spielerische Meditation über das Altern und die Sexualität der französischenSchriftstellerin Colette in La Naissance du Jour (1928). Die autofiktionale Hauptfigur verbringt den Sommer umgeben von jungen Künstler*innen in ihrem Haus in St.Tropez, beschreibt ihre schlaflosen Nächte, ihre fast kindliche Nähe zur Natur – von den verblassenden Sternen bis zur winzigen Kaktusblüte – ihre gleichzeitige Verstrickung mit und Versuche der gelassenen Befreiung von gesellschaftlichen Vorstellungen rund um die alternde Frau. (4)
Ist diese ¡Transformation! nun also ein Aufschrei gegen die sozialen Erwartungen rund ums Frau sein, oder eine eher verträumte Utopie, in der die Transformation sich in einer Explosion von Farben und Mustern als zukunftsweisende Erneuerung entpuppt? Was bedeutet es, wenn man ein Ausrufezeichen umkehrt? Nimmt es der Wut, der Kritik, die Kraft? Oder zeigt es auf, dass alles immer komplizierter ist, als man denkt?
Es ist kein Zufall, dass die Künstlerin diese Rauminstallation für die Mansarde der Peripherie8 entwickelt hat, denn es gibt kaum einen Raum, der historisch mit einem solchen Überschuss von träumerischen und revolutionären Utopien aufgeladen ist, wie die Mansarde – und dies ganz besonders in Bezug auf die Selbstbestimmung der Frau. Mansarden sind ein architektonisches Phänomen des 19. Jahrhunderts, das kulturell mit gesellschaftlicher Marginalisierung aber auch mit einer Infragestellung der bestehenden Gesellschaftsordnung assoziiert wird. Oft wurden Mansarden von armen, berufstätigen Frauen gemietet, sie waren einerseits eine ökonomische Notwendigkeit, andererseits aber auch ein Ort, der ein gewisses Mass an Freiheit und Eigenständigkeit ermöglichte. In der Literatur gibt es den Topos der Mansarde alsMetapher für das Unbewusste und das Widerständige: Man stelle sie sich vor, die wilde Frau unter dem Dach, mit dem Feuer im Herzen und an den Fingerspitzen, bereit die Welt zu entflammen. (5)
In der Ausstellung von Anouk Sebald tritt das Wasser an die Stelle des Feuers – doch die Herausforderung an die Welt bleibt bestehen. Bei den Walen, übrigens, haben die älteren Weibchen, die nach der Beendigung der Reproduktionsphase noch viele Jahrzehnte weiterleben, einen hohen Status als Leittiere ihrer Gruppe.
Manchmal möchte ich auch ein Buckelwal sein. Text: Kate Whitebread
* Der Stern verweist darauf, dass der Begriff „Frau“ cisgender sowie transgender Frauen sowie gewisse nonbinäre Identitäten einschliesst. Auch die Körper von transgender Männern können in ihrer Lebenszeit «biologisch weibliche» Prozesse durchmachen. Dieser Text bezieht sich stark auf die Erfahrungen von cisgenderFrauen, zu denen die Künstlerin sowie die Autorin gehören – jedoch im Bewusstsein, dass dies der Diversität der verschiedenen Erfahrungen von Weiblichkeit nicht gerecht werden kann, und dass die genannten biologischen Prozesse für diese Erfahrungen nicht zwingend ausschlaggebend sind.
- Ursula le Guin, „The Space Crone“ (1976), in: Dancing at the Edge of the World. Thoughts on Words, Women, Places (London, 1992) “(...) experienced, accepted, and acted the entire human condition—the essential quality of which is Change.”
- Germaine Greer, The Change: Women, Aging and the Menopause ,New York: Knopf, 1992
- Erin Harrington, Women, Monstrosity and Horror Film, New York : Routledge 2019. Künstlerische Positionen von Judy Chicago zu Vanessa Tiegs (Menstruation), in Bezug auf die Wechseljahre siehe z.B. Pauline Curnier Jardin, Hot Flash Forrest, Preis der Nationalgalerie 2019, in der Literatur z.B. Thomas Mann, Die Betrogene (1953) in Die Betrogene. Erzählungen 1940-1953, Berlin: S. Fischer 2014.
- Colette La Naissance du Jour (1928), Deutsche Übersetzung als Die Freuden des Lebens (1961).
- Siehe z.B. einen Schlüsseltext der feministischen Literaturkritik: Sandra Gilbert & Susan Gubar, The Madwoman in the Attic: The Woman Writer and the Nineteenth-Century Literary Imagination (1979)
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Fotos: Stefan Schmidlin |