Am Anfang meines Arbeitsprozesses im Off-Space Kunstraum und Gastatelier gepard14 stand eine Kritik,
welche ich 2002 anlässlich einer Ausstellung mit Polaroidbildern - siehe Louise Eliot - in der Galerie Kabinett, Krethlow,in Zürich bekam. In der Kritik wurde mir unterstellt, meine Arbeiten seien ein schlechtes und oberflächliches Plagiat der 1997 verstorbenen Schweizer Künstlerin Hannah Villiger. Nachzulesen NZZ unter dem Titel: "Das konstruierte Ich" vom 28.5.2002. Ich hatte bis zu dieser Kritik weder Kenntnisse über die Existenz von Hannah Villiger noch eine Ahnung über ihre Arbeiten. Während diesen zwei Monaten im Gastatelier erforschte ich meine "Bildungslücke" und die Auswirkungen, die diese Kritik auf meine künstlerische Arbeit hatte. Dabei versuchte ich Hannah Villigers Werke in den Kontext meines Schaffens zu stellen. Mit ihrer Sicht auf den eigenen Körper, den sie kompromisslos ablichtete und ihn skulptural-fotografisch ertastete, war Hannah Villiger Pionierin. Bei dieser Auseinandersetzung mit Hannah Villigers Werken rückten Begriffe wie "Plagiat, Iteration, Différance" in den Mittelpunkt.
"Ein kleines Spiel zwischen dem Ich und dem mir" notiert sie am 20. September 1989 in ihrem Arbeitsbuch.
2002, fünf Jahre nach dem Tod Hannah Villigers, dokumentierte Wikipedia erstmals das Wort "Selfie". Die Darstellung der eigenen Person ist heute im Zeitalter des "Selfie" zur Normalität geworden. Das Spiel mit der eigenen Identität, Darstellung und Abgrenzung, sowie die des Betrachters, lässt neuen Interpretationsspielraum zu.
welche ich 2002 anlässlich einer Ausstellung mit Polaroidbildern - siehe Louise Eliot - in der Galerie Kabinett, Krethlow,in Zürich bekam. In der Kritik wurde mir unterstellt, meine Arbeiten seien ein schlechtes und oberflächliches Plagiat der 1997 verstorbenen Schweizer Künstlerin Hannah Villiger. Nachzulesen NZZ unter dem Titel: "Das konstruierte Ich" vom 28.5.2002. Ich hatte bis zu dieser Kritik weder Kenntnisse über die Existenz von Hannah Villiger noch eine Ahnung über ihre Arbeiten. Während diesen zwei Monaten im Gastatelier erforschte ich meine "Bildungslücke" und die Auswirkungen, die diese Kritik auf meine künstlerische Arbeit hatte. Dabei versuchte ich Hannah Villigers Werke in den Kontext meines Schaffens zu stellen. Mit ihrer Sicht auf den eigenen Körper, den sie kompromisslos ablichtete und ihn skulptural-fotografisch ertastete, war Hannah Villiger Pionierin. Bei dieser Auseinandersetzung mit Hannah Villigers Werken rückten Begriffe wie "Plagiat, Iteration, Différance" in den Mittelpunkt.
"Ein kleines Spiel zwischen dem Ich und dem mir" notiert sie am 20. September 1989 in ihrem Arbeitsbuch.
2002, fünf Jahre nach dem Tod Hannah Villigers, dokumentierte Wikipedia erstmals das Wort "Selfie". Die Darstellung der eigenen Person ist heute im Zeitalter des "Selfie" zur Normalität geworden. Das Spiel mit der eigenen Identität, Darstellung und Abgrenzung, sowie die des Betrachters, lässt neuen Interpretationsspielraum zu.
Pushback, Videoinstallation, I Phone slomo, 9:57 min. Loop, mit Ton, 2016
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Pushback, im engl. für zurückschieben, zurückdrängen. Die Videoinstallation Pushback setzt sich mit dem mentalen wie dem physischen Zurückgedrängt,- Zurückgeschoben werden auseinander und der Ohnmacht, die wir bei unüberwindbaren Grenzen empfinden. Der Protagonist ist das zurückgeschobene resp. zurückgedrängte Subjekt. Der nicht sichtbare Zurückschiebende oder widerstand Leistende bleibt dem Betrachter unbekannt. Es rückt die Auseinandersetzung des Zurückgeschobenen mit dem sicht- und hörbaren unüberwindlichen Widerstand in den Mittelpunkt. Der Ton unterstreicht den Endpunkt bei der Zurück- schiebung.
Als Push-back -heisse Abschiebung- wird auch das illegale Zurückdrängen von Einwanderern in Grenznähe bezeichnet. Die Wand, steht für die unsichtbare und unüberwindbare Grenze. Die Zeitlupe unterstützt dabei den Spannungsbogen des immer und immer wieder zurückgelegten Weges. Die Repetition und das Abspielen des Videos als Endlosschleife lassen dem Protagonisten keine Möglichkeit, den Widerstand trotz Ausdauer und Anstrengung zu überwinden.
Als Push-back -heisse Abschiebung- wird auch das illegale Zurückdrängen von Einwanderern in Grenznähe bezeichnet. Die Wand, steht für die unsichtbare und unüberwindbare Grenze. Die Zeitlupe unterstützt dabei den Spannungsbogen des immer und immer wieder zurückgelegten Weges. Die Repetition und das Abspielen des Videos als Endlosschleife lassen dem Protagonisten keine Möglichkeit, den Widerstand trotz Ausdauer und Anstrengung zu überwinden.
Text zur Ausstellung von Marc Munter, Kunsthistoriker
Der Ausstellungseinladung folgend, erwarten die Besucherinnen und Besucher beim gepard14 womöglich eine Doppelausstellung der Künstlerinnen Anouk Sebald und Louise Eliot in Auseinandersetzung mit der international be-kannten Schweizer Künstlerin Hannah Villiger (*1951, Cham/ZG, † 1997 Auw/AG). In der Tat schuf die Berner Künstlerin Anouk Sebald (*1971 in Bern, lebt und arbeitet in Gümligen/BE) während ihrer mehrmonatigen Ausstellungsvorbereitungen eine Art Doppelausstellung, wobei hinter den beiden Personennamen weniger ein Spiel mit verschiedenen Identitäten steckt, als vielmehr die Verwendung unterschiedlicher Medien – einerseits
Fotografie und Video; andererseits Zeichnung und Malerei. Gewiss haben diese mit dem Selbstverständnis und den Inhalten der Künstlerin einiges zu tun: Louise Eliot – ein Fantasiename und gleichzeitig eine Kombination aus
den Vornamen zweier ihrer Kinder – ist quasi der übergeordnete Titel ihrer Fotografien. Der Name steht ihnen Pate, als Arbeitstitel wie als Alter Ego beim Schaffensprozess. Bereits für eine frühere Serie machte Anouk Sebald als Louise Eliot – damals noch ihr Pseudonym – Selbstaufnahmen mit einer Polaroidkamera, die sie für eine
Ausstellung scannte und vergrösserte. Nach mehreren Versuchen in Digitalfotografie kam sie später wieder darauf zurück: Die für ihre "Selfies" so entscheidende Unmittelbarkeit und die besondere Qualität der Bilder – häufig
leicht unscharf und überbelichtet, was die Aura des Flüchtigen und Vergänglichen potenziert – waren letztlich nur mit diesem Kameratyp zu erreichen. Seither fotografiert sie mit einer alten, vergleichsweise schwerfälligen
Polaroid Land Camera, die ihr einiges an Anstrengung und Ausdauer abringt. Meist sind mehrere Aufnahmen bis zum gültigen Bild nötig, und die Künstlerin steht sich mit ausgestrecktem Arm und Kamera in der Hand stets
selbst Modell. In technischem wie inhaltlichem Sinn versteht sie ihre Fotografie denn auch als eine Form von Malerei. Die Bilder zeigen ausschnitthafte Nahaufnahmen ihres Körpers, ihres Gesichts, teilweise verdeckt, in Kleider gehüllt, oder hinter fallenden Haaren; zudem scheinbar liegengebliebene Kleidungsstücke oder wiederum Teile davon. Durch Ausschnitthaftigkeit, ungewöhnliche Blickwinkel, Unschärfe und spezielle Lichtverhältnisse werden die konkreten Motive nicht selten in die Abstraktion überführt. Diese wiederum verhält sich paradox zur Fotografie als Medium der wirklichkeitsgetreuen Abbildung par excellence.
Für die bei gepard14 eigens entstandene Ausstellungsinszenierung gruppierte Anouk Sebald an mehreren Stellen die kleinformatigen Originalfotografien zusammen mit Zitaten von Hannah Villiger sowie assoziativen Begriffen, teils zitiert, teils aus dem eigenen Fundus. Aufgesprüht auf abnehmbare Klebefolien ermöglichten diese ein prozesshaftes Vorgehen und stehen leitmotivisch für die jeweiligen Gruppierungen und die künstlerische Gesamtinstallation. Eine erste grössere Gruppe hängt quasi als Auftakt, als vorbereitende Studie zur Ausstellung
im Flur. Zwei weitere sind es im Ausstellungsraum: Bei der einen geht die Künstlerin der von Hannah Villiger zitierten schwierigen Nachbarschaft von Einzelbildern nach. Angesichts der schier unlösbaren Aufgabe ("Alle anderen Bilder stören immer") schafft Anouk Sebald gerade ein spannungsreiches Nebeneinander von Körper- und Kleiderbildern, das sich mal zu etwas Grossem, Stofflichen und Erzählerischen zusammenzieht; mal in seine einzelnen intimen Bildfragmente zergliedert erscheint. In der zweiten Gruppe geht sie Villigers Prinzip der Wiederholung an, worin diese ebenfalls ein Mittel zur absoluten Abstraktion sieht – allerdings unter Auslassung von Augen und Geschlecht. Anouk Sebald umgeht das Postulat, indem sie buchstäblich ihr Augenmerk auf ihre eigene Augenpartie richtet, wovon sie – aus technischen Gründen mit einer Handy-Kamera – ebenfalls mehrere Nahaufnahmen anfertigte. Die Bilder wirken so zart wie teilweise brutal, der Blick ins aufgerissene Auge schmerzt gar, der friedlichen Anblick sanft fallender Wimpern wirkt dagegen friedlich, beinahe einschläfernd. Andere Aufnahmen von der Seite lassen dagegen kaum auf die vertraute Körperpartie schliessen – sie wiederlegen gewissermassen Villigers Credo.
Ganz unter dem Namen Anouk Sebald entstanden die kleinformatigen Zeichnungen sowie Gemälde im Ausstellungsraum und im Flur. Auch hier geht es der Künstlerin um eine möglichst direkte Übersetzung innerer Bilder – Körper, Gesichter, Verhüllungen und Enthüllungen – ohne Vorzeichnung auf die Bildfläche. Daher
der Zeichenstift respektive die Spraydose in Kombination mit Eitempera, die ein rasches Vorgehen ermöglichen. Allerdings entstehen die gemalten Bilder in einem länger dauernden Prozess durch mehrfachen Farbauftrag,
was sich wiederum mit den wiederholten Versuchsaufnahmen ihrer fotografischen Arbeit vergleichen lässt.In einer weiteren Auseinandersetzung mit ihrem Körper und angeregt von ihrer tänzerischen Ausbildung entstand die Videoarbeit pushback, die Anouk Sebald passend zum Ort auf die Aussenfenster projiziert. Ihr Interesse galt einem Experiment: Den Schritt zu machen von den unbewegten zu den bewegten Bildern, ihren Körper vor der
Kamera in Bewegung zu versetzen und ihn dabei einer bestimmten Erfahrung auszusetzen: dem Aufprall gegen eine Wand im Ausstellungsraum, der sie bei der Arbeit ebenso ständig wie beständig umgab.
In der bilder- wie wortreichen Ausstellung spiegeln sich gleichsam mehrere Parallelen zu Hannah Villiger: In der Tradition verschiedener Kunstschaffender, die ab den 1960er Jahren ihren Körper als Material und Motiv
ausloteten, schuf Villiger in den 1980er Jahren mit fragmentarischen Aufnahmen ihres Körpers eine eigenwillige fotografische Sprache. Dabei handelte es sich ebenfalls um Vergrösserungen ab Polaroid-Fotografien, und auch Villiger kam – so das Zitat eingangs der Ausstellung – "immer wieder auf die Polariods zurück", aus ähnlichen Beweggründen wie Anouk Sebald. 2002 wurden Sebalds Bilder anlässlich einer Ausstellung von der Kunstkritikerin Sibylle Omlin denn auch prompt mit jenen von Villiger verglichen, allerdings als "beliebig austauschbar",
ja geradezu als oberflächlich abgetan. Indes, Anouk Sebald kannte die Arbeiten von Hannah Villiger damals gar nicht und die Kritik kümmerte sie verhältnismässig wenig. Umso mehr gaben die Umstände nun Anlass zu einer intensiven Auseinandersetzung, wozu sich das gepard14 als ideal erwies, zumal es sich selbst als "Raum zur künstlerischen Auseinandersetzung und Ort der Begegnung" versteht.
In mancher Hinsicht handelt es sich um eine philosophisch fragende Herangehensweise "auf den Spuren
von Hannah Villiger". So stellen sich für Anouk Sebald zunächst Fragen wie: "Sind meine Arbeiten für mich, für den heutigen Zeitgeist (Stichwort "Selfies") und das Publikum gültig und aussagekräftig?" Verschiedene Begriffe
in der Ausstellung stammen aus der Philosophie oder der Analysetechnik und lassen sich auf die zentralen Themen der Künstlerin übertragen: "Iteration" etwa fragt nach dem Prinzip der Wiederholung, wodurch mit gleichen
oder ähnlichen Handlungen approximativ an ein Ziel herangeführt wird. In der Wiederholung schwingt gleichsam die Frage nach der Referenz zu Hannah Villiger mit, zur Kopie oder gar zum Plagiat ihrer Arbeiten. In der Art
ihrer Auseinandersetzung grenzt sich Anouk Sebald jedoch immer wieder von ihrem "Vorbild" ab. Begriffe wie "Grenzfläche" spielen weiter auf das so eng wie weit zu fassende Feld zwischen Bild, BetrachterIn und Künstlerin an, worin sich gleichermassen Nähe und Distanz, Ähnlichkeiten und Verschiebungen des Beabsichtigten und Wahrgenommenen offenbaren. "Bottom up" [von unten nach oben] und "Top down" [von oben nach unten] – nach letzterem sind auch mehrere Bilder im Flur und im Ausstellungsraum benannt – bilden die Grundlage für unterschiedliche Herangehensweisen : der von unten nach oben, etwa vom konkreten Sachverhalt zur abstrakten Gesetzmässigkeit geleiteten Induktion und umgekehrt der von oben nach unten geführten Deduktion. Die vier Vergrösserungen im Flur, mit Brust-, Kinn- und Kopfpartien der Künstlerin, tragen den Titel Différance, eine vom französischen Philosophen Jacques Derrida für seine Dekonstruktions-Theorie herbeigeführte Wortschöpfung. Vereinfacht formuliert wird damit die Unmöglichkeit der Gleichheit zweier Wesen, Dinge oder Sachverhalte beschrieben, so sehr sie sich auch ähneln mögen. In diesem Sinn spannt sich der Bogen über die Unähnlichkeit des Ähnlichen zwischen Anouk Sebald und Hannah Villiger, mit Blick auf ihre Persönlichkeit und ihre Kunst. Weiter spannt er sich als zarter Faden zu uns Betrachtenden, und eröffnet den jeweiligen Wahrnehmungen und Gedanken erneut eine eigenständige Bildwelt.